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Hintergrund und aktuelle Situation in NRW

Hintergrund

Kinder und Jugendliche mit psychisch erkrankten oder suchtkranken Eltern sind auf ihrem Lebensweg mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Geschätzt wird, dass ca. jedes 4. Kind (somit ungefähr 3 bis 4 Millionen Kinder in Deutschland) mit einem vorübergehend oder dauerhaft psychisch erkrankten Elternteil[1] aufwächst sowie ca. jedes 4. bis 5. Kind mit mindestens einem suchtbelasteten Elternteil (also insgesamt ca. 3 Millionen Kinder in Deutschland).[2]

Die Auswirkungen einer Erkrankung erstrecken sich auf die gesamte Familie: Sorgen um die erkrankte Person als auch daraus resultierende Probleme belasten sowohl die erwachsenen Familienmitglieder als auch die Kinder. Einigen Familien gelingt es, einen geeigneten Weg zu finden, mit den Belastungen umzugehen und negative Auswirkungen für die Kinder zu vermeiden. Dennoch können Kinder unter den Folgen des Zusammenlebens mit psychisch und/oder suchtkranken Elternteilen leiden: So können sie beispielsweise nicht nur unzureichende emotionale Unterstützung und Fürsorge erfahren, sondern sind auch elterlichem Verhalten ausgesetzt, das sich kritisch auf ihre Entwicklung auswirken kann. Das Zusammenwirken von sozialen Komponenten, schwierigeren Lebens- und Entwicklungsbedingungen sowie genetischen Faktoren führt dazu, dass Kinder psychisch kranker und/oder suchtkranker Eltern eine größere Wahrscheinlichkeit haben, selbst eine psychische oder substanzbezogene Störung zu entwickeln, als Kinder ohne eine entsprechende Vorbelastung.[3] Sie bilden deshalb eine besonders vulnerable Zielgruppe. Eine möglichst frühzeitige und dauerhafte Begleitung und Unterstützung zur Reduzierung der psychischen und gesundheitlichen Belastung der betroffenen Kinder ist essenziell.

Die Landesinitiative nimmt daher die Kinder psychisch kranker und/oder suchtkranker Eltern unter der Prämisse gesundheitlicher Chancengleichheit im Rahmen der Gesundheitsförderung und Prävention in den Blick.

Aktuelle Situation in NRW

Für Nordrhein-Westfalen lassen sich die Zahlen anhand einer durch das Gesundheitsministerium NRW beauftragten Erhebung[4]  weiter ausdifferenzieren:

  • Etwa jede zweite Klientin und jeder dritte Klient der ambulanten Suchthilfe in Nordrhein-Westfalen ist Mutter bzw. Vater, jede dritte Klientin und jeder vierte Klient hat eigene minderjährige Kinder.
  • 44,5 Prozent der in der Erhebung erfassten minderjährigen Kinder leben bei ihren suchtkranken Eltern(-teilen).
  • Für etwa jedes dritte Kind unter sechs Jahren wird keine öffentliche Betreuung oder Tagesmutter/-vater in Anspruch genommen.
  • Der weitaus größte Teil der Kinder, nämlich rund 86,5 Prozent, wird von den Mitarbeitenden der ambulanten Suchthilfe nie gesehen.

Es bedarf flächendeckender, regional verankerter und regelhaft angebotener präventiver Hilfsangebote. Für den Versorgungsbereich Rheinland äußern die Gesundheits- und Jugendämter großen Handlungsbedarf bei der Bedarfsermittlung und Planung der Projekte für Kinder psychisch kranker und/oder suchtkranker Eltern sowie für niedrigschwellige, familienbezogene Hilfeangebote.[5]

Bisher liegen noch keine Daten zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die seelische Gesundheit von Kinder aus Familien mit psychisch kranken und/oder suchterkranken Elternteilen vor, es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Problemlagen innerhalb der Familien verschärfen: So sind die Zugänge zu Angeboten des Hilfesystems (z. B. psychotherapeutischer Behandlung) beispielsweise aufgrund von Infektionsängsten erschwert. Der Verlust der Tagesstruktur und von sozialen Kontakten wirkt sich sowohl auf die Eltern als auch auf die Kinder gleichermaßen ungünstig aus. Eine Verschlechterung der elterlichen psychischen Erkrankung kann resultieren. Für die Kinder sind wesentliche Entlastungsorte (z. B. Kindertagesstätten, Schulen, Freizeitangeboten) weggebrochen.

Auch die ersten Ergebnisse der Copsy-Studie lassen diesen Schluss zu. Nach der Studie leide fast jedes dritte Kind ein knappes Jahr nach Beginn der Pandemie unter psychischen Auffälligkeiten. Ängste und Sorgen haben bei den Kindern im Vergleich zur ersten Befragung noch einmal deutlich zugenommen.[6]

[1] Lenz, A., Brockmann, E.: Kinder psychisch kranker Eltern stärken. Informationen für Eltern, Erzieher und Lehrer. Göttingen: Hogrefe 2013.
 
[2] Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung beim Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.): Jahresbericht 2020. 2020, S. 34.
 
 [3]
AFET-Bundesverband für Erziehungshilfe e. V. (Hrsg.): Abschlussbericht. Arbeitsgruppe Kinder psychisch- und suchtkranker Eltern. 2020.
 
[4] Landeskoordinierungsstelle Frauen und Sucht NRW,  BELLA DONNA: Modellprojekt: Dokumentation der Kinder der ambulant betreuten Klientinnen und Klienten – NRWKIDS-Modul. Projekt des Aktionsplan Sucht NRW. Abschlussbericht. Ergebnisse der Jahre 2017 und 2018. 2020.
 
[5] Landschaftsverband Rheinland (LVR), Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V.: Abschlussbericht. Untersuchung von Angebots- und Vernetzungsstrukturen im Bereich „Hilfen für Kinder psychisch und/oder suchterkrankter Eltern im Rheinland“. 2020.
 
[6] Ravens-Sieberer, U., Kaman, A., Erhart, M., et al.: Quality of Life and Mental Health in Children and Adolescents during the First Year of the COVID-19 Pandemic in Germany: Results of a Two-Wave Nationally Representative Study. 2021.